Kino in Asien, Afrika, Lateinamerika: Jüngere Entwicklungen

Kino in Asien, Afrika, Lateinamerika: Jüngere Entwicklungen
Kino in Asien, Afrika, Lateinamerika: Jüngere Entwicklungen
 
Nachdem bereits in den frühen Siebzigerjahren Kung-Fu-Filme mit Bruce Lee in Europa und den USA sehr populär gewesen waren, gelangten ein Jahrzehnt später erneut Produktionen der den asiatischen Markt dominierenden Hongkong-Filmindustrie in die Kinos der westlichen Welt. Im Gegensatz zu den Kung-Fu-Filmen erhielt das opulente, farbenprächtige neue Hongkong-Kino sogar von der Kritik höchstes Lob. Viele seiner Regisseure hatten nach der Ausbildung an einer westlichen Filmschule ihre Karriere beim Fernsehen begonnen. Technische Perfektion und ausgefallene Spezialeffekte, rasche Schnittfolgen und einfache Geschichten voller physischer Aktion kennzeichnen die vom amerikanischen Genrekino beeinflussten Hongkong-Filme, die oft Elemente des Kriminalfilms mit denen der Komödie verbinden. Drei Regisseure repräsentieren das Spektrum des modernen Hongkong-Kinos: Tsui Hark (»Peking Opera Blues«, 1986) mit seinen antirealistischen Filmen voll rasanter Aktion, John Woo(»City Wolf«, 1986), der die Themen der Kung-Fu-Filme - Ehre, Loyalität, Verrat - in Szenen stilisierter Gewalt umsetzt, und Jackie Chan (»Police Story«, 1985), der häufig als sein eigener Hauptdarsteller mit choreographierten Kampfszenen und halsbrecherischen Stunts in aufwendigen Studiobauten brilliert.
 
Eine spezielle Spielart des Hongkong-Kinos ist der Geisterfilm, der Elemente des Horrorfilms, des Melodrams und der Komödie sowie Kung-Fu und Spezialeffekte vermischt (»A Chinese Ghost Story«, 1987, von Ching Siu-tung). Geisterfilme wurden als Spiegel der Angst vor der ungewissen Zukunft nach der Rückgabe Hongkongs an China interpretiert.
 
In Afrika wurden bis in die Sechzigerjahre hinein nur in den nördlichen Ländern, vor allem in Ägypten, Filme produziert und in die gesamte arabische Welt exportiert. Nach der Einführung des Tonfilms hatte zunächst das stark vom zeitgenössischen Theater beeinflusste Musical die ägyptische Produktion dominiert, bis sich nach 1940 langsam eine realistische Strömung zu entwickeln begann. Mit staatlicher Unterstützung versuchte die Regierung in den Fünfzigerjahren, die Produktion von realitätsnahen Filmen zu fördern, sie unterwarf sie jedoch gleichzeitig zensorischen Eingriffen. Als vielseitigster Regisseur gilt Youssef Chahine, der mit dem an den Neorealismus erinnernden Film »Tatort. .. Hauptbahnhof Kairo« (1957) bekannt wurde. Chahine war gleichzeitig ein routinierter Regisseur von Genrefilmen: In seinem Melodram »Struggle in the Valley« (1953) gab der Schauspieler Omar Sharif, der mit »Lawrence von Arabien« (1962) von David Lean zum internationalen Star avancierte, sein Leinwanddebüt. Bis heute inszeniert Chahine Melodramen und Historienfilme. Sein Hauptwerk ist eine autobiographische Trilogie, die zugleich die politisch-historische Entwicklung Ägyptens seit 1942 nachzeichnet: »Alexandria. .. warum?« (1978), »Eine ägyptische Geschichte« (1982) und »Alexandria: Again and Again« (1990).
 
Mit der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien und der Stabilisierung der politischen Verhältnisse begannen sich Mitte der Sechzigerjahre auch Filmkulturen in schwarzafrikanischen Ländern zu entwickeln. Aber erst seit den Achtzigerjahren konnten Filmemacher wie Sembène Ousmane und Safi Faye aus Senegal, Idrissa Ouedraogo und Gaston Kaboré aus Burkina Faso, Jean Marie Teno aus Kamerun und Souleymane Cissé aus Mali regelmäßige Filmprojekte realisieren. Über 80 Prozent der schwarzafrikanischen Filmproduktionen kommen aus den frankophonen Ländern, ihre Regisseure haben in der Regel französische Filmschulen besucht, und ihre Filme werden mit französischer oder belgischer Unterstützung produziert und verliehen, oft auch mit teilweise europäischen Teams gedreht. Trotz der Verschiedenheit der afrikanischen Filmländer und ihrer Regisseure scheint es einen gemeinsamen Bezugspunkt zu geben: die immer noch auf dem ganzen Kontinent lebendige Tradition der mündlichen Überlieferung von Mythen, Geschichten und Geschichte. So wählen afrikanische Filmemacher häufig Legenden, Fabeln oder historische Ereignisse, um aktuelle Probleme zu thematisieren: das politische und ökonomische Erbe der Kolonialzeit ebenso wie den Konflikt zwischen dem traditionellen ländlichen und dem modernen großstädtischen Lebensstil sowie die europäisch oder nordamerikanisch beeinflussten Veränderungen kultureller Traditionen.
 
In verschiedenen lateinamerikanischen Ländern entwickelte sich in den späten Fünfzigerjahren ein neues Kino, das in enger Verbindung zu den jeweiligen politischen Gegebenheiten stand und auf internationales Interesse stieß. In Argentinien, Brasilien und Kuba entstanden Filmschulen, in den folgenden Jahrzehnten begleiteten Filmemacher die politischen Umwälzungen in Chile, Nicaragua und El Salvador. Die bekannteste Strömung im lateinamerikanischen Kino ist die des brasilianischen »Cinema nôvo«. Einige seiner Pioniere hatten zu Beginn der Fünfzigerjahre in Rom Film studiert und übertrugen die Prinzipien des Neorealismus - zum Beispiel das Drehen mit Laiendarstellern an Originalschauplätzen - auf die eigene Filmarbeit, auch weil sie unter den herrschenden ökonomischen Bedingungen praktikable Lösungen boten. Filmemacher wie Nelson Pereira dos Santos und Carlos Diegues wählten die Form der Allegorie, die zum entscheidenden Merkmal des »Cinema nôvo« werden sollte: Historische oder religiöse Sujets enthielten versteckte Kritik an aktuellen politischen Missständen. Der bekannteste Exponent des brasilianischen Kinos ist Gláuber Rocha, der sich, ähnlich wie die Regisseure der französischen Nouvelle Vague, als Autor definierte. In seinem 1965 veröffentlichten Manifest, »Die Ästhetik des Hungers«, proklamierte Rocha eine grundlegende Erkenntnis des »Cinema nôvo«: Gewalt sei für die Hungernden die einzige Möglichkeit, als Beherrschte von den Herrschenden wahrgenommen zu werden. Gláuber Rochas Filme »Land in Trance« (1967) und »Antonio das Mortes« (1969) beschäftigen sich anhand modellhafter, theatralisch agierender Figuren, die in sorgfältig komponierten Bildern stilisierte Handlungen vollziehen, mit dem Verhältnis von Kirche und Macht, von Kunst und Politik und mit dem Erbe der Diktaturen in Lateinamerika. 1971 floh Rocha vor politischen Repressionen ins afrikanische und später ins europäische Exil. Er kehrte 1976 nach Brasilien zurück.
 
In Kuba hatte die Revolutionsregierung 1959 ein Filminstitut gegründet, das Produktion und Verleih künftig kontrollieren sollte. In der Folgezeit wurde das Kino zum wichtigsten Bestandteil der Kulturpolitik. Ästhetisch herausragend sind die in den späten Sechzigerjahren entstandenen Dokumentarfilme von Santiago Álvarez. In den Siebzigerjahren kombinierten Regisseure wie Manuel Octavio Gómez und vor allem Tomás Gutiérrez Alea Elemente des Dokumentarfilms und des Spielfilms, indem sie historische Ereignisse rekonstruierten oder reale neben fiktiven Personen auftreten ließen.
 
Die kubanische, vor allem dokumentarisch ausgerichtete Filmkultur beeinflusste Filmemacher in ganz Südamerika, so in Argentinien, wo 1968 eine Gruppe um Fernando Ezequiel Solanas den dreiteiligen Essayfilm »Die Stunde der Hochöfen« realisierte, eine historische, politische und soziale Bestandsaufnahme Argentiniens und ein Aufruf zur Revolution; oder in Chile, wo Filmemacher wie Patricio Guzmán und Raul Ruiz mit ihren Arbeiten die Regierung Salvador Allendes unterstützten. Wie viele Intellektuelle gingen auch die Regisseure bei seinem Sturz ins europäische oder lateinamerikanische Exil. Raul Ruiz wurde in den Achtzigerjahren in Frankreich zu einem der Protagonisten des europäischen Avantgardekinos, Miguel Littin setzte seine politisch orientierte Arbeit in Mexiko fort. Als 1979 das Festival des lateinamerikanischen Films in Havanna gegründet wurde, gab es in vielen Ländern Lateinamerikas ein kritisches und zugleich populäres Kino.
 
Dr. Daniela Sannwald und Robert Müller
 
 
Geschichte des internationalen Films, herausgegeben von Geoffrey Nowell-Smith. Aus dem Englischen. Stuttgart u. a. 1998.
 
Lexikon des internationalen Films. Das komplette Angebot in Kino, Fernsehen und auf Video, begründet von Klaus Brüne. Bearbeitet von Horst Peter Koll. 10 Bände. Neuausgabe Reinbek 1995.
 
Mythen der Nationen. Völker im Film, herausgegeben von Rainer Rother. München u. a. 1998.
 
Sachlexikon Film, herausgegeben von Rainer Rother. Reinbek 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Film — Schicht; Vergütung; Belag; Streifen (umgangssprachlich); Lichtspiel; Diafilm; Fotofilm * * * Film [fɪlm], der; [e]s, e: 1. [zu einer Rolle aufgewickelter] Streifen aus einem mit einer lichtempfindlichen Schicht überzogenen Material für… …   Universal-Lexikon

  • A-Festival — Ein Filmfestival ist eine periodisch stattfindende, kulturelle Veranstaltung mit Event Charakter, bei der an einem bestimmten Ort verschiedene aktuelle Filme gezeigt, diskutiert und meist von einer Jury bzw. dem Publikum beurteilt und mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Filmfestspiel — Ein Filmfestival ist eine periodisch stattfindende, kulturelle Veranstaltung mit Event Charakter, bei der an einem bestimmten Ort verschiedene aktuelle Filme gezeigt, diskutiert und meist von einer Jury bzw. dem Publikum beurteilt und mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Filmfestspiele — Ein Filmfestival ist eine periodisch stattfindende, kulturelle Veranstaltung mit Event Charakter, bei der an einem bestimmten Ort verschiedene aktuelle Filme gezeigt, diskutiert und meist von einer Jury bzw. dem Publikum beurteilt und mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Filmfestival — Ein Filmfestival ist eine periodisch stattfindende, kulturelle Veranstaltung, bei der an einem bestimmten Ort verschiedene aktuelle Filme gezeigt, diskutiert und meist von einer Jury bzw. dem Publikum beurteilt und mit Filmpreisen ausgezeichnet… …   Deutsch Wikipedia

  • Vereinigte Staaten von Amerika — Neue Welt (umgangssprachlich); Staaten (umgangssprachlich); Vereinigte Staaten; Amiland (derb); USA; Amerika * * * Ver|ei|nig|te Staa|ten von Ame|ri|ka <Pl.>: Staat in Nordamerika (Abk.: USA). * * * …   Universal-Lexikon

  • United States Army — Wappen des Department of the Army Aufstellung 1789 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”